Ein bemerkenswertes Museum im Haus Cajeth in Heidelberg
Leonardo da Vinci, Pablo Picasso, Amedeo Modigliani, Francis Bacon, Jackson Pollock, Willem de Kooning, Gustav Klimt, Edvard Munch, Claude Monet und Jean-Michel Basquiat. Wer kennt sie nicht, die Schöpfer der am teuersten gehandelten Kunstwerke. Ihre Gemälde werden mit Aufsehen erregenden Millionenbeträgen ersteigert und gelten als Invenstitionsobjekte und Statussymbole.
Der Buchhändler und Kunstsammler Egon Hassbecker (1924-2013) hingegen interessierte sich für eine Kunst, die fernab des Kunstmarktes produziert wurde, eine Kunst von nicht akademisch ausgebildeten Künstler_innen. Was 1965 in einer Eberbacher Hinterhofbuchhandlung mit kleinen Ausstellungen begann, wurde seit 1982 mit der Eröffnung des Museums im Haus Cajeth eine Bereicherung für Heidelbergs Kulturlandschaft. Hassbecker trug ganz im Sinne des kunsttheoretischen Ansatzes Jean Dubuffets Arbeiten jenseits eines etablierten Kunstmarktes zusammen. Auf seinen zahlreichen Reisen in entlegene Gegenden spürte er akribisch Künstler_innen auf, die völlig ohne Vorbilder und keiner Stilrichtung folgend arbeiteten. Er trug die Lebensgeschichten und künstlerischen Arbeiten dieser oft in einfachen Verhältnissen lebenden Menschen zusammen. Nicht selten waren ihre Biografien von Kriegserfahrungen und Schicksalsschlägen geprägt. Einige von ihnen genossen keine Schulbildung und blieben Zeit ihres Lebens Analphabeten.
So beispielsweise die in der Provinz Tambow in Zentralrussland geborene Natálie Schmidtová (1895-1981). Der frühe Verlust des Vaters zwang ihre mittellose Mutter die Kinder ohne den Besuch einer Schule aufzuziehen. Aufgrund dessen zeitlebens des Schreibens und Lesens nicht kundig, verdingte sich Schmidtová später als Kindermädchen am Schwarzen Meer. Als sie ihren Mann kennenlernt, ziehen die beiden in die Tschechoslowakei und bekommen zwei Töchter. Neben der Tätigkeit als Hilfsarbeiterin auf landwirtschaftlichen Gütern widmet sich Schmidtová der Malerei. Sie beginnt Landschaften aus ihrer Erinnerung zu malen. Ihr Sujet ist das einfache Leben: Arbeiten auf dem Feld, die Heuernte, die Jagd, Frauen beim Holzsammeln, aber auch ein sonntäglicher Spaziergang entlang eines keinen Sees oder vergnügliche Ausgelassenheit am Meer. Das Kolorit ihrer Bilder vermittelt Unbekümmertheit und Heiterkeit. Die Künstlerin stellt das Wesentliche mit einfachen Mitteln dar. Trotz einer gewissen Verspieltheit in der Ausführung wäre es ein Fehler die große Qualität dieser Werke zu unterschätzen.
Ähnlich und dennoch völlig anders verhält es sich mit dem italienischen Autodidakt Pellegrino Vignali (1905-1884). Der völlig abgeschieden in den Bergen des Apennin lebende Analphabet hat sein Werk erst nach seiner Tätigkeit als Bauer, zum Lebensabend hin geschaffen. Aus eigenem Antrieb und ohne jegliche Einflüsse aus der Kunstwelt brachte er Zeichnungen, Bilder und Skulpturen von herausragender Ausdruckskraft hervor. Seine archaisch wirkenden Motive umfassen Pflanzen, Tiere und Gesichter und geben dabei emblematisch elementare Lebensthemen wieder. Vignalis Bilder zeichnen sich durch eine genuine, weder akademischen Traditionen, noch perspektivischen Regeln folgende Pinselführung aus. Spontan, originell, intuitiv, unbefangenen, dabei aber tiefgründig und sinnhaft sind Adjektive, die die Arbeiten des Künstlers wohl an ehesten beschreiben würden. Vignali hatte nie den Anspruch von seiner Kunst leben zu wollen. Seine Werke zeugen von einem unverstellten Blick und individuellen Stil, der sich jedem deskriptiven Erklärungsversuch scheint zu entziehen.
Dies sind nur zwei Beispiele einer beeindruckenden Sammlung, die die Passion des Kunstliebhabers Egon Hassbecker mit einem besonderen Geschmack für die Unmittelbarkeit auf der Suche nach den Wurzeln der Kreativität ausmacht. Und doch ist da etwas, was diesem einzigartigen Museum nicht gut steht. Die hier präsentierten Arbeiten werden unter der Kategorie „Primitive Kunst“ versammelt. Wenngleich der Begriff „primitiv“ in der Kunstwissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts positiv-wertschätzend und in diesem Sinne von Wilhelm Uhde für die Charakterisierung nichtakademischer Maler_innen des 20. Jahrhunderts Verwendung fand, so ist die Bezeichnung im 21. Jahrhundert nicht mehr zeitgemäß. Denn der eigentlich neutrale Begriff erhielt in den letzten Dekaden im allgemeinen Sprachgebrauch abwertende Konnotationen wie „auf niedriger Entwicklungsstufe stehend“, oder „von geringem kulturellen Niveau“. Zudem beschreibt „primitiv“ nicht im entferntesten das, was die Besucher_innen des Museums Haus Cajeth erwartet. Nämlich eine vielschichtige, komplexe, faszinierende und nicht zu klassifizierende Sammlung. Diese Arbeiten wurden, befreit von bürgerlichen Zwängen und Prestigedruck von autonomen, unbeeinflussten und einmaligen Persönlichkeiten geschaffen. Sie mit einem Begriff fassen zu wollen wäre vermessen. In den Genuss ihres historischen und ästhetischen Werts zu gelangen haben wir Egon Hassbecker zu verdanken. Und so wäre es in enger Verwandtschaft zur Sammlung Prinzhorn gebührend, dem Museum Haus Cajeth statt „Primitive Malerei“ den Beinamen „Die Sammlung Hassbecker“ zu verleihen.