Ein Interview mit Otobong Nkanga.
Otobong Nkanga (* 1974, Kano, Nigéria) ist eine bildende Künstlerin, die in Antwerpen lebt. Sie arbeitet mit einer Reihe von Medien, die sich von Zeichnung über Malerei bis hin zu Performance und Installation erstrecken. Im Jahr 2012 wurde sie zur Vorbereitung der Ausstellung "Objekt Atlas - Feldforschung im Museum" zu einem Artist in Residency Programm ins Weltkulturen Museum eingeladen. Im Jahr 2013 war sie Teilnehmerin bei zwei Think Tanks, die für die im Zuge der Ausstellung "Ware&Wissen (or the stories you wouldn’t tell a stranger)“ organisiert wurden. Ich traf Otobong Nkanga im Dezember 2016 und sie erklärte mir ihre Sichtweisen.
Béatrice Barrois (BB): Liebe Otobong, Du wurdest im Jahr 2012 vom Weltkulturen Museum zu einem Artist in Residency Programm eingeladen, um anhand der Sammlungen eine neue Arbeit für die Ausstellung " Objekt Atlas - Feldforschung im Museum" zu entwickeln. Seit einiger Zeit gibt es einen Trend, der Künstler_innen dazu einlädt sich im Diskurs um die Zukunft ethnologischer Museen einzubringen. Ich denke zum Beispiel an das "Humboldt-Lab" in Berlin oder das Projekt "Grassi invites" in Leipzig ein. Was hältst du grundsätzlich von dieser Entwicklung?
Otobong Nkanga (ON): Ich glaube nicht, dass wir hierbei von einen Trend sprechen können. Ich denke, das wäre eine zu reduzierte Sicht auf eine Auseinandersetzung von Künstler_innen mit Objekten und darauf, wie sich Künstler_innen Dinge aus verschiedenen Kulturen angeeignet und damit gearbeitet haben. Wenn es eine Frage eines Trends ist, Künstler_innen in ein Museum einzuladen, dann finde ich das eine sehr problematische Frage oder Art und Weise, Dinge zu betrachten. Denn es wurden nicht nur Künstler_innen eingeladen, sondern darüber hinaus alle Arten von Menschen, beispielsweise Wissenschaftler_innen, Anwält_innen, Akademiker_innen etc, um sich mit den Objekten zu beschäftigen. Es nur auf Künstler_innen, oder einen Trend zu reduzieren, finde ich eine sehr problematische Frage.
(BB): Ich weiß, was Du meinst. Für meine Forschungen konzentriere ich mich auf künstlerische Perspektiven. Ich interessiere mich besonders für den künstlerischen Blick auf diese Sammlungen. Glaubst Du, dass es spezifische Methoden gibt, wie Künstler_innen mit solchen Objekten arbeiten, oder ist es für Dich eher ein persönlicher Zugang?
(ON): Was meinst Du mit Deiner Frage genau? Ich kann nichts über die Art und Weise einer institutionellen Entscheidung aussagen. Das ist sehr schwer für mich zu sagen.
(BB): Ich werde versuchen, es anders zu formulieren: Im letzten Jahrzehnt sprachen viele Theoretiker_innen von künstlerischer Forschung. Wie würdest Du das beschreiben, was Du während Deiner Zeit im Weltkulturen Museum gemacht hast? War es eine Art Forschung? Oder war es ein künstlerischer Prozess? Könntest Du mir bitte eine Beschreibung Deiner Aktivitäten geben?
(ON): Ich würde das, was ich gemacht habe nicht unbedingt als Forschung oder etwas ähnliches beschreiben. Ich nenne es Neugier. Ich denke, was Clémentine Deliss eigentlich vorschlug, war Feldforschung im Museum zu betreiben. Es war eine Möglichkeit die Depots und Sammlungen des Museums zu besuchen und hier eine offene Situation vorzufinden, bei der man mehrere Objekte ansehen kann, die Interesse auslösen. Das kann ein Ausgangspunkt für ein künstlerisches Werk sein. Meine persönlichen Auslöser sind Neugier und Wissbegierde. Mein Startpunkt ist so etwas wie ein Ort des Nichtwissens. In ein Thema einzutauchen, könnte durch ein Gespräch mit einer Person beginnen, die auf einem Markt Gegenstände verkauft, die den Objekten ähneln, oder die ich im Museum gesehen habe. Oder ich spreche mit Familien, Freunden, Großeltern, den Kustod_innen oder einem Botaniker usw. Ich weiß nicht, ob Forschung ausreichend genug, oder das richtige Wort ist, um diese unterschiedlichen Herangehensweisen zu fassen. Als ich im Museum arbeitete, fragte ich mehr oder weniger nach bestimmten Gegenständen. Warum hatten sie diese Formen? Wie und auf welche Weise benutzte man sie im Bezug zum Körper? Ich fragte mich, ob die Deutungen völlig eindeutig, oder geschlossen waren. Es gibt mehrere, offene Möglichkeiten sich einem Objekt und seiner Geschichte anzunähern. Diese Geschichten könnten für die Erzeugung von Narrativen verwendet werden. Es sind nicht unbedingt Narrative, die faktisch sind, es kann sich auch um Fiktionen und Mythen drehen. Dieser Prozess erlaubt mir, meine eigene Geschichte zu erschaffen und mich dabei auf die Vergangenheit zu beziehen. Es ist ein Weg, ein besseres Verständnis der Gegenwart zu haben und den Geist und den Körper zu stimulieren. Es gibt also mehrere Möglichkeiten sich anzunähern. Es ist nicht unbedingt eine akademische Forschung. Es könnte eher aus einer Art persönlicher Geschichte herrühren oder aus anderen Dingen, die nicht unbedingt sachlich oder real sind.
(BB): Während deines Aufenthaltes hast Du mit den Kurator_innen des Museums zusammen gearbeitet. Wie hat sich das auf Ihre künstlerische Arbeit ausgewirkt?
(ON): Als ich im Museum ankam, hatte die Kustodin der Sammlung für Afrika, mit der ich zusammen arbeiten sollte, das Museum verlassen. Es gab also keinen wirklichen Austausch mit einer Kustodin. Die Kustodin hinterließ mir Material aus Protokollen, oder Materialen aus dem Archiv, die in Bezug zu bestimmten Werken standen. Ich hatte hauptsächlich Diskussionen mit Clémentine Deliss. Ich arbeite auch viel mit Büchern aus der Bibliothek. Ich hatte Gespräche mit den verschiedenen Kustod_innen und Kurator_innen aus anderen Abteilungen des Museums. Aber die meiste Zeit arbeitete ich im Weltkulturen Labor, dem Atelier, das zur Verfügung gestellt wurde. Wegen der Übergangssituation im Museum hatte ich kaum Diskussionen oder Gespräche mit der Kustodin der afrikanischen Sammlung. Mein Zugang war eher technischer Art. Es ging darum, mit Informationen umzugehen, die sich bereits im System befinden.
(BB): Lass uns einen Blick auf Deine Arbeit “Memory of Absent Things” werfen. Du hast eine Mind Map erstellt. Könntest Du beschreiben, wie Du auf diese Idee gekommen bist und wie Du sie realisiert hast?
(ON): Als ich zu all den unterschiedlichen Abteilungen der Depots ging und die Objekte betrachtete, fielen mir vor allem Dinge auf, die aus Metall waren. Wenn man an afrikanische Gegenstände denkt, ist das erste, was einem in den Sinn kommt, Masken. Im Weltkulturen Museum entdeckte ich Werkzeuge, Waffen, Schmuck und Gegenstände für den alltäglichen Gebrauch. Mein Interesse richtete sich auf das Verhältnis von Metall im Krieg und als Währung. Ich war neugierig, wie Metall in verschiedenen Ländern und von unterschiedlichen Gruppen von Menschen wie den Berbern, Bantus oder Yorubas verwendet wurde. Jeder Teil des afrikanischen Kontinents hat eine starke Beziehung zur Herstellung von Metall. Das wurde durch eine breite Palette von Objekten aus Metall sichtbar, wie etwa Speere, Kipingas oder Schmuck. Einige fundamentale Fragen, die ich mir stellte, waren: "Was ist der Wert dieser Dinge? Wie kam es zu dem Wissen über diese Dinge?" Die Mind Map verband mehrere Aspekte der Verwendung der Metalle und teilte sie in Cluster, wie Kriegsführung, Prestige oder Währung. Zur gleichen Zeit wurde das Thema des Körpers zentral, der eine Beziehung zu dem Material hat. Wer waren die Macher? Welcher Körper erzählt die im Archiv gefundenen Geschichten? Die Anonymität um die Produktion der Objekte und die Schlupflöcher in den Erzählungen im Archiv, waren verschiedene Aspekte, die mein Interesse an den Beziehungen innerhalb der Museumssammlungen weckten. Das Museum hat eine interessante Sammlung von Kangas, Gedenk-Textilen und Dutch wax. Ich war sehr von den Geschichten und der Ästhetik dieser Objekte angetan. Es war schwer einen Zusammenhang zwischen diesen Erfahrungen und meiner Idee für die Ausstellung herzustellen. Die Mind Map half, die einzelnen Punkte zu verbinden; es gab mir einen Raum, wo ich A und B zusammen setzen konnte.
(BB): Im Depot in Frankfurt a.M. hast Du Objekte aus Nigeria, Deinem Geburtsort gefunden. Im Katalog beschreibst Du, dass es eine sehr emotionale Begegnung war und dass Du über die junge Generation in Nigeria nachdachtest, die diese kulturellen Artefakte nicht kennt und wahrscheinlich niemals die Chance habt, sie zu sehen und von ihnen zu lernen. Du hast dieses fantastische Plakat gemacht, auf dem Du einige Messer, Manillas, Hals, Arm und Fuß Ringe vor Deinen Körper hältst. Unter den Bildern sind kurze Beschreibungen. Die Plakate wurden in Lagos gedruckt und ich erinnere mich an eine Anekdote von Dir: Am Flughafen in Lagos waren einige Grenzpolizisten sehr interessiert ... so interessiert, dass Du beinahe Deinen Flug verpasst hast! Dein Plan war, einige der Plakate in Nigeria zu verkaufen. Hast Du das gemacht?
(ON): Nein, das habe ich noch nicht gemacht. Momentan laufen viele Projekte parallel... (lacht) Es ist etwas, was ich wirklich noch sehr gerne tun möchte. Ich habe den richtigen Zeitpunkt noch nicht gefunden. Ich wollte es im Jahr 2012 in Bezug auf ein Projekt verwirklichen, zu dem ich nach Lagos eingeladen wurde. Aber am Ende wurde es abgesagt,... ich werde nicht ins Detail gehen. Die Idee war eigentlich, 2012 oder 2013 nach Lagos zu gehen und mit einer Institution zusammenzuarbeiten, um das Projekt zu realisieren. Aber es hat nicht geklappt. Ich habe zwei oder drei Projekte, die ich immer noch in Lagos realisieren möchte. Es ist eher eine Frage der Zeit, es zu machen. Ich möchte dieses Projekt in einen Raum bringen, in dem es direkten Kontakt mit jener Bevölkerung hat, die nicht in die Museen gehen. Solche Orte wie ein Markt scheinen ein sehr verlockender und herausfordernder Ort zu sein, um eine breitere Gruppe von Menschen zu beteiligen.
(BB): Ich verstehe. Ich hoffe, eines Tages wirst du die Chance haben, Deine Idee zu verwirklichen.
(ON): Ja hoffentlich. Die Plakate sind noch in Lagos. Sie sind immer noch da und warten auf mich ... (beide lachen)
(BB): Ein weiterer Teil Deiner Arbeit war ein gewebter Teppich mit einem Schema von fliegenden Wurfblättern im Foyer und zwei anderen gewebten Textilien, die mich an Fancy Prints aus Westafrika und Kangas aus Ostafrika erinnern. Könntest Du mir diese Arbeiten bitte erklären?
(ON): ...hmm, ja. Normalerweise mag ich es nicht, zu viel zu erklären... (beide lachen) Die erste Arbeit, die man im Erdgeschoss fand, ist ein gewebter Teppich mit Abbildungen von Wurfblättern. Es ist ein Textil zum Gedenken an etwas. Ich war von all diesen Gedenktextilen inspiriert, die ich im Museum gesehen hatte. Die Erzählungen, die auf diese Textilen gedruckt wurden, thematisierten meistens eine Persönlichkeit oder ein Ereignis mit Datum oder Jahr. In der westafrikanischen Kultur wurden viele wichtige Ereignisse mit diesen Tüchern oder Textilien gefeiert. Sie wurden von den Menschen getragen, die an den Veranstaltungen teilgenommen hatten. Die Tücher/Textilen beinhalten meist einen sozialen Kommentar oder eine Aussage, die bestätigt: "Das ist wirklich passiert an diesem Tag, zu diesem Zeitpunkt" oder "Diese Person wurde der Präsident dieses Komitees." Sie sind eine Möglichkeit eine bestimmte Aussage zu treffen, sowie eine soziale Verbindung zu einem bestimmten kulturellen Hintergrund oder zu einer bestimmten politischen Ideologie zu äußern. Ich habe ein Textil zur Freier der Eröffnung der ersten Ausstellung von Clémentine Deliss "Objekt Atlas - Feldforschung im Museum", aber auch zum Gedenken an die vergessenen und unbekannten Krieger, Künstler_innen, Handwerker_innen, die die Metallgegenstände hergestellt oder als Waffen während des Kriegs benutzt haben, gemacht. Dieser Krieg und Widerstand fand in verschiedenen Regionen im Kongo, Südafrika oder Zentralafrika statt. Es ging also nicht nur um die Eröffnung des Museums, sondern auch um alle Menschen, die diese Gegenstände gemacht haben, alle Menschen, die uns ein bestimmtes Wissen hinterlassen haben und all jene Menschen, die von Soldaten getötet wurden. Immer wenn ich diese Gegenstände betrachte, fällt mir die Anonymität auf. Es ist oft so, dass man keine Information über die Verwendung des Objekts oder den Namen von demjenigen hat, der das Objekt hergestellt hat. Wir leben in einer Gesellschaft, für die Individualität eine große Rolle spielt - vom Mittelalter über die Renaissance bis heute – wir kennen immer den Namen des Schöpfers eines Gemäldes oder eines Gegenstandes und verstehen so die Entwicklung einer Technik und die Weitergabe von Wissens, die stattfand. Selbst wenn wir über Industrien oder Modehäuser nachdenken, ist uns der Name des Modehauses bekannt. Im Kontext der afrikanischen Handwerkskunst jedoch wissen wir lediglich etwas über regionale Fakten. Wir wissen nichts über die Leute, die die Benin Bronzen hergestellt haben. Wir kennen keine Namen. Für mich war es interessant, in Bezug auf Gedenken darüber nachzudenken. Ich habe versucht, Bilder von Leuten zu finden, im 19. Jahrhundert die Gegenstände benutzten und ich versuchte, Dinge zu finden, die sich auf das persönliche und auf den Körper beziehen. Das war die Idee des Textilstückes im Erdgeschoss. Die Kanga- Arbeiten im Obergeschoss waren mit einem sozialen Kommentar verbunden. In Bezug auf Gedenk-Textilien, die sehr viel mit einem Ereignis zu tun haben, verdeutlichen von Menschen getragene Kangas soziale Kommentare. Oft gibt es einen Text, der auf sie gedruckt und verwendet wird, um eine Geschichte zu erzählen oder ein soziales, politisches Ereignis zu verdeutlichen. Ein Beispiel: Du weißt, dass jemand eine Affäre mit Deinem Mann hat und Du kennst die Frau. Dann könntest Du ihr ein Kanga-Tuch geben, auf dem steht: "Pass auf!" (Lacht) Die Kangas konnten so als eine Art Waffe oder ein Kommentar für eine bestimmte Situation genutzt werden. Für mich war der Bezug zu den Metallobjekten interessant, denn die Textilien sind auch eine Art von Kommentar über Reichtum. Der Begriff des Reichtums hat irgendwie etwas sehr Zerbrechliches. Mein Kommentar war: "There is only so much a neck can carry." Auf dem Kanga ist ein Bild von einem Halsring. Man könnte hunderte oder tausende Schmuckstücke für den Hals besitzen, aber es gibt eine Grenze, die definiert, wie viel ein Hals tragen kann. Das Gewicht, das ein Hals tragen kann, ist also begrenzt. Der Kanga soll als Metapher dafür stehen, dass egal wie viel Reichtum man auch hat, es gibt eine Grenze, eine körperliche Grenze, die bestimmt, wie viel Du tragen kannst. Ich dachte mir: Wenn wir uns Imperien oder unterschiedliche Arten von Institutionen ansehen, die enormes Reichtum aufbaut haben, dann kommt irgendwann der Moment, an der eine Grenze auftaucht und sich das Bild umdreht. Die Kangas spiegelten Macht oder die Situation eines sozialen Status wieder.
(BB): In Vorbereitung zur Ausstellung "Ware&Wissen (or the stories you wouldn’t tell a stranger)" wurdest Du zu zwei Think Tanks eingeladen. Der erste fand im Februar 2013 statt und hatte den Titel „The Administration of People and Goods”. Dort hast Du gesagt, dass viele Museen über die Rückführung von Objekten in deren Herkunftsländer nachdenken und Du fragtest Dich, warum kulturelle Artefakte nicht auch in anderen Ländern auf der ganzen Welt gezeigt werden könnten. Während eines Vortrags, den ich im Ethnologischen Museum in Leipzig besuchte, hatte die Wissenschaftlerin Larissa Förster den Einfall eine Art "Museumscontainer" mit kulturellen Artefakten in unterschiedliche Teile der Welt zu schicken. Was hältst Du von dieser Idee?
(ON): Ich denke Repatriierung ist ein sehr komplexes Thema mit vielen unterschiedlichen Facetten, darunter auch sehr einleuchtende. Eine Debatte, die ich während des Think Tank hatte, drehte sich um die Frage: "Wäre für eine Gruppe von Menschen, die vielleicht ausgewandert ist und heute ganz andere Bedürfnisse und Notwendigkeiten hat, eine Rückführung von Objekten die beste Option? Oder gäbe es etwas anderes, das für diese Menschen interessant sein könnte? Etwas anders als Repatriierung, das man vorschlagen könnte?" Es gibt viele Leute, die sich nicht so sehr für alte, kulturelle Artefakte interessieren, oder kulturelle Objekte als bedeutende Relikte wertschätzen. Ihre Ziele liegen vielleicht vielmehr darin, sich im weltweiten Fortschritt einzubringen. Ich denke viele Menschen wollen einfach nur ein normales Leben, Wasser, Essen, ein Dach über dem Kopf und Bildung für ihre Kinder. Wo spielt es für Menschen eine Rolle, wenn viele ihrer Gegenstände und Artefakte in westlichen Museen zu finden sind, zu denen sie keinen Zugang haben? Das ist eine sehr schwierige Frage und die Antwort kann nicht nur in der Rückgabe der Objekte an die Menschen oder in die Regionen, aus der die Objekte ursprünglich stammen, liegen. Es muss ein Zusammenschluss und eine Vermittlung oder Verbindung zwischen den Menschen und den Objekten, die zu deren Lebensraum gehören, geschaffen werden. Die Objekte müssen Teil der alltäglichen Reflexionen und Entwicklung werden. Die westliche Kultur war in der Lage, eine ganze Reihe von Gegenständen und Dingen aus der ganzen Welt zusammenzutragen. Diese Objekte wurden gesammelt, gestohlen, erworben oder geraubt. Sie wurden unter ganz unterschiedlichen Umständen gesammelt und eingelagert. Diese Sammlungen wurden um ihre Bedeutungen gekürzt, wenn man die Kontexte betrachtet, aus der sie ursprünglich stammen. Den Objekten wurde ein neuer Wert zugesprochen, ein Geldwert, der symbolisch für Macht, Eroberung und Besitz steht. Andererseits erlaubt uns ein Blick auf diese Sammlungen, die Welt aus einer anderen Warte zu betrachten; einer Warte, die es uns ermöglicht unterschiedliche Erkenntnisse zu sammeln und Erfahrungen zu machen. Wenn ein Gegenstand aus seinem Herkunftsort entnommen und sagen wir über 100 oder 200 Jahre anders verwendet wurde, wie kann man dann im Kontext der Repatriierung eine Brücke bauen und eine Verbindung des Objekts zu seinem Ursprungsort herstellen? Für mich ist die Idee, Container mit Artefakten zu versenden, eine eher provisorische Sache. Ich meine, Gegenstände sind immer im Umlauf, sie bleiben nie an den Orten ihres Ursprungs. Und letztlich gehören sie immer noch zu der Institution, die sie besitzt und nicht der Gruppe von Menschen oder Nationen, die sie einst gemacht haben. Diese Artefakte können niemals den Menschen gehören. Ich sehe eine Chance in der Bildung. Die Rückführung muss mit einer grundlegenden Veränderung des Bildungssystems einhergehen, um den Menschen ein Bewusstsein für diese Objekte zu vermitteln, um die Bedeutung ihres kulturellen Wertes zu erkennen. Wenn dann ein Objekt zurückgegeben wird, würden die Leute verstehen, warum und für wen es gemacht wurde. Wenn eine Rückführung stattfinden soll, müssen die Empfänger in der Lage sein, Vorbereitungen zu treffen und sich um die Gegenstände zu kümmern. Die Gegenstände zu verschicken ist eher wie eine bewegte Ausstellung, ein mobiles Museum, aber es löst nicht die Probleme der Rückgabe, Rückführung oder Restitution. Das Problem sitzt viel tiefer.
(BB): Der zweite Think Tank mit dem Titel „Persecuted, Mourned, Pitied, Admired- Collected and Photographed” fand im Mai 2013 statt. Zur Diskussion standen einige ethnographische Fotografien des Bildarchivs. Einige der Bilder zeigen nackte Menschen. Diese Menschen wurden von Bernhard Hagen, dem Gründer des Weltkulturen Museums, während seiner anthropometrischen Studien in Papua-Neuguinea und Indonesien fotografiert. Andere Fotos zeigen Menschen aus Namibia, der Demokratischen Republik Kongo oder Brasilien. Was waren Deine Gedanken und Gefühle, als du diese Fotos gesehen hast? Was ist mit dir passiert?
(ON): Nichts ist mit mir passiert... (beide lachen). Stellen wir uns vor, wir wüssten, wie in Science-Fiction-Filmen, dass es irgendwo Aliens gibt, sagen wir, an einem Ort, an dem wir noch nie waren und wir besuchten diese Aliens... (lacht). Vor etwas, das man nicht kennt, fürchtet man sich. Entweder man rennt davon oder man schubst, untersucht, seziert, benennt, benutzt es.... oder man beutet es aus. Die ganze Idee der Benennung von Identitäten, Gruppen, Menschen und Geographien entstand aus der Verwendung dieser Bilder. Diese Art von Bildern wurde gemacht und heute denkt man über ihren Zweck nach. Wozu waren sie bestimmt und welche Handlungen, die in der Geschichte stattfanden, wurden durch sie gerechtfertigt. Ich glaube, dass es mit einer gewissen Neugierde begonnen hat, eine Neugierde, die versuchte, das Andere zu verstehen. Von dieser Neugierde ausgehend wurden die Bilder ein Instrument für unterschiedliche Programme. Es gibt mehrere Gründe, warum diese Bilder gemacht wurden. Sie wurden nicht nur für medizinische oder wissenschaftliche Forschungen gemacht, sondern auch als Materialien verwendet, um die Missionierung während der Kolonisation zu unterstützen. Auf den ersten Blick ist es leicht, die Fotos nur als medizinische oder wissenschaftliche Forschungen zu betrachten, aber je mehr man die Ausdrücke der Gesichter der Menschen, die Messwerkzeuge und Requisiten um die Körper und die Umgebung betrachtet, stellen sich deutliche Hierarchien heraus, die hier stattfanden. Diese Menschen sehen machtlos aus und ihre Körper wurden zu einer Oberfläche oder zu einem Objekt, um Missionierung auszuüben. Diese Bilder haben mich nicht verändert. Es wurde deutlich, wie Menschen ihre Menschlichkeit verlieren und andere Menschen als Subjekt, oder minderwertige Wesen behandeln können. Es zeigte mir auch die Macht der Fotografie und wie mehrere Narrative durch ein Bild erzählt werden können. Das Bild ist ein Beweis für eine Handlung oder ein Ereignis. Die Geschichten um es herum jedoch können angepasst, manipuliert und für einen spezifischen Zweck, für den es benötigt wird, verwendet werden.
(BB): Danke für dieses wertvolle Gespräch, Otobong.