Ein Gespräch mit Lisl Ponger
Die Künstlerin Lisl Ponger realisierte im Jahre 2014 in der Wiener Secession ihren Traum von einem eigenen Museum. Mit der Ausstellung „The Vanishing Middle Class“ präsentierte sie das „Museum für fremde und vertraute Kulturen“, kurz MuKul, und leistete einen aufschlussreichen Beitrag zur Diskussion um die Zukunft ethnologischer Museen. Bei meinem Besuch in Wien im März 2016 erläuterte Lisl Ponger ihr Vorgehen und ihre künstlerische Perspektive.
Beatrice Barrois (BB): Vom 13.02. bis 30.03.2014 fand in Wien Deine Ausstellung „The Vanishing Middle Class“ in der Secession statt. Dort hast Du den von Dir lang gehegten Wunsch eines Museums für fremde und vertraute Kulturen realisiert. Wie kam die Idee dazu genau zustande?
Lisl Ponger (LP): Es ist eine alte Idee, die ich schon vor circa sieben Jahren, also im Jahr 2009 hatte. Mir war klar, dass diese Idee ohne Institution nicht zu verwirklichen ist. Seit geraumer Zeit interessiere ich mich für ethnologische und anthropologische Literatur. Bei meinen Recherchen zu amerikanischer Ethnologie, Native Americans und First Nation People bin ich auf den US-amerikanischen Fotografen Edward Sheriff Curtis gestoßen, den sogenannten Indianerfotografen, mit dessen Fotografien ich mich beschäftigt habe. In Zuge dieser Recherchen stieß ich auf den Begriff „The Vanishing Indians“, einen Begriff den ich besonders interessant fand und auf andere Dinge anwenden wollte. Daraus entstand schon damals die Idee einer „Vanishing Middle Class“. Hinzu kam der Traum einmal als Kunstprojekt ein Museum zu „bauen“. Als dann die Anfrage der Secession kam, hatte ich etwa ein Jahr Zeit zur Verwirklichung.
BB: Die Exponate der Ausstellung stammen teilweise aus Deiner eigenen Sammlung, teilweise sind es Leihgaben. Wie hat sich die Auswahl und Zusammenstellung der Objekte ergeben?
LP: Etwa 98 % der ausgestellten Objekte stammen von mir. Es gab auch Leihgaben, beispielsweise aus dem erfundenen „Museum of the Emerging Middle Class“ in Shanghai, von dem manch ein Besucher glaubte, dass es tatsächlich existiert. Dadurch, dass ich in meiner künstlerischen Praxis mit analoger Fotografie arbeite, um inszenierte Bilder zu machen, verfüge ich über einen großen Fundus an Objekten, die ich gesammelt habe. Die meisten Exponate jedoch habe ich im Rahmen der Ausstellungsvorbereitungen gekauft.
BB: Ganz in der Manier eines ethnologischen Museums waren alle Ausstellungsobjekte mit einer detaillierten Beschriftung versehen. Wie kam es dazu?
LP: Ich hatte eine Mitarbeiterin des damals gerade umbenannten Museums für Völkerkunde zu Wien zur Seite, eine junge Wissenschaftlerin, die mittlerweile Curatorial Fellow an der Kunsthalle Bremen ist. Sie hat die Ausstellung ethnologisch betreut. Dabei habe ich sehr viel gelernt, denn künstlerische Ausstellungspraktiken und die Logik eines Museums sind zwei diametral entgegengesetzte Angelegenheiten. Alle Objektbezeichnungen, Inventarnummern, Wandtexte etc. wurden auf ihre ethnologische Museumstauglichkeit geprüft, denn es war mir sehr wichtig mit den Methoden eines klassischen Museums zu arbeiten.
BB: Du interessierst Dich für Klassifikationssysteme ethnologischer Sammlungen und hast verschiedene Museen und Ausstellungen genauestens studiert. Was fasziniert Dich daran und welche Aspekte waren für Dein „Museum für fremde und vertraute Kulturen“, kurz MuKul relevant?
LP: Mich interessieren hauptsächlich ethnologische Museumspräsentationen. Ich war viel auf Reisen und habe in jedem Land und jeder Stadt unterschiedliche Museen besucht, vor allem aber ethnologische Museen. Für mein Museum habe ich mich speziell auf die Ausstellung „Brasilien“ des ehemaligen Museums für Völkerkunde in Wien, jetzt Weltmuseum, bezogen. In den letzten Jahren hat sich die Art und Weise wie ethnologische Ausstellungen präsentiert werden, verändert. Manchmal sind es nur moderne Vitrinen und Typographien, die Inhalte jedoch bleiben „klassisch“. Die „Brasilien“ Schau war so eine Ausstellung und ich habe sie mir sehr genau angesehen und viele Ideen übernommen.
BB: Ich erinnere mich da an den Vorhang, auf dem ein Sehnsucht erweckendes Strandbild der Cayman Islands zu sehen war und durch den man Dein Museum betrat. Ein Element der „Brasilien“ Schau, das Du übernommen hast?
LP: Ja, genau, auch dort gab es einen Vorhang mit einer exotischen, brasilianischen Landschaft, durch den man die Ausstellung betrat.
BB: Ich finde Deine Arbeit und das „Museum für fremde und vertraute Kulturen“ beeindruckend, weil Du Dich der Mittel eines ethnologischen Museums bedienst und es somit schaffst, gängige museologische Strategien aufzudecken und deren Anachronismen zu offenbaren....ich denke da beispielsweise an das gängige Konzept mittels materieller Objekte eine Kultur repräsentieren zu wollen. Welche Widersprüche sind Dir während Deiner Recherchen in den ethnologischen Museen aufgefallen? Und wie bist Du damit in Deinem eigenen Museum umgegangen?
LP: Ich hatte mein großes AHA – Erlebnis bei meinem ersten Besuch der „Brasilien“ Ausstellung, die ich übrigens noch etliche Male danach gesehen habe. Die Schau befand sich im Erdgeschoss und es gab zwei Eingänge. Durch Zufall habe ich die Ausstellung durch den „falschen“ Eingang betreten und stand in einem Saal, in dem es um die Gegenwart ging. Ich dachte mir, „Jetzt haben sie begriffen, dass man nicht in der Kolonialzeit anfangen sollte, sondern in der Jetztzeit!“ und ging ganz beglückt durch die Räume, nur um am Ende enttäuscht festzustellen, dass der Rundgang ganz klassisch chronologisch angelegt war. Ich glaube, eine Ausstellung anhand der Gegenwart einzuführen, wäre eine andere, spannendere und zeitgemäßere Erzählung; nicht chronologisch von der eigenen Sammlung ausgehend, sondern umgekehrt. Bei der „Brasilien“ Ausstellung ist mir beispielsweise auch aufgefallen, dass der Gegenwartsraum im Vergleich mit den historischen Räumen recht armselig gestaltet war: mit weißen Wänden und Gebrauchsgegenständen auf Regalbrettern. Die Räume der Vergangenheit waren farbig, mit, ...natürlich..., wunderbaren Objekten in Glasvitrinen in exotischem Ambiente. Für mein Museum habe ich bewusst die klassischen Methoden ethnologischer Museen angewandt und sie auf ein, aus westlicher Sicht heutiges, brennendes Thema bezogen.
BB: Ein basaler Grundzug jedes Museums ist das Sammeln. Was bedeutet das Sammeln für Dich?
LP: Sammeln bedeutet für mich, dass ich Dinge besitze, die mir gefallen, wobei ich keine Sammlung habe, die besonders viel wert ist. Ich habe natürlich Masken und Figuren etc. von meinen Reisen mitgebracht, aber immer mit der guten Ausrede, dass ich sie für meine Arbeit brauche.
BB: Für Dein Museum hast Du Dich im Besonderen für Objekte entschieden, die möglichst mehrere Bedeutungsebenen haben. Ein anderes Kriterium war, dass sie Dich ästhetisch ansprechen. Kannst Du mir ein Beispiel nennen?
LP: Bei der Auswahl der Exponate ging ich immer zuerst inhaltlich vor. Danach kam die Ästhetik ins Spiel. Ich habe kein Objekt ausgewählt, mit dem ich ein ästhetisches Problem gehabt hätte. Ein Beispiel sind die Parfums im ersten Saal. Hier wurden repräsentative Gebrauchsgegenstände der „Middle Class“ gezeigt. Diese Eau de Parfums heißen „Rich“ oder „1 Million“ und sprechen für sich selbst. Ein anderes Beispiel sind die Brettspiele, wie etwa eine Jubiläumsausgabe von „Monopoly“, eine Collector`s Edition von 1991, mit einem Spielbrett aus Mahagoni, und vergoldeten und versilberten Spielfiguren. Dann gibt es Objekte, deren Aussagekraft so großartig ist, dass man nichts Weiteres dazu sagen kann. Etwa das „Lehman Brothers Emergency Evacuation Kit“, bestehend aus einer Gasmaske, einer Taschenlampe, einer Trillerpfeife usw. Das bekamen alle Angestellten von Lehman Brothers nach 9/11, um sich vor weiteren Katastrophen zu bewahren; hat ja wohl nicht so gut geklappt… Oder die Numisbriefe. Das sind Ersttagskuverts mit Briefmarken und einer eingeschweißten Münze oder Banknote. Spricht man von Steuerparadiesen, dem Inselstaat Vanuatu beispielsweise, der auch ein exotischer Sehnsuchtsort ist, dann kommen mit diesem Numisbrief gleich mehrere Bedeutungsebenen zum Vorschein. Ein weiteres Beispiel ist ein Golfball, der mit 24 karätigem Gold überzogen ist.
BB: Eine allgemeinere Frage: Welche Funktion hat Dein MuKul für Dich?
LP: Es war ein Versuch. Ich wollte ausprobieren, ob es an einem eher elitären Kunstort, der die Wiener Secession ja ist, möglich ist, ein breiteres Museumspublikum anzusprechen. In einem Museum gibt es erklärende Wandtexte und Objektbeschreibungen; in Kunstausstellungen ist das sehr selten und fast verpönt. Und es kamen wirklich viele Menschen, die zuvor noch nie in der Secession gewesen waren, um „mein Museum“ zu besuchen. Den BesucherInnen war natürlich klar, dass sie sich in einer Kunstausstellung befanden, die aber wie ein Museum funktionierte, mit seinen didaktischen Komponenten und seinem Vermittlungspotential.
BB: Ethnografische Objekte in Ausstellungen sollen einen bestimmten Inhalt vermitteln und füttern dabei oft stereotype Vorstellungen. Wie denkst Du darüber und wie könnte man Deiner Meinung nach mit diesen Sehgewohnheiten brechen?
LP: In meinem MuKul habe ich ganz bewusst mit diesen Vorstellungen gespielt und mit Typisierungen gearbeitet, genauso wie das ja auch in vielen ethnologischen Museen der Fall war oder auch noch ist. Sehgewohnheiten sind historisch tief in uns verankert und bestimmte Objekte und Bilder rufen bestimmte Stereotype ab. Man müsste vielleicht diesen Vorgang hinterfragen und Fragen an die BesucherInnen weitergeben. In meinem Museum war dieser Aspekt ganz offensichtlich, es hat gut funktioniert. Ich habe als Kuratorin meines Museums in sechs Wochen zwanzig Führungen gegeben. Es kamen viele junge, interessierte Menschen. Eines der Lieblingsobjekte der BesucherInnen war ein Lebendabguss, eine Halbfigur aus Gips mit dem Titel „Generation Praktikum“. Hier stellte ich einen Bezug zu den anthropologischen Studien und den Lebendabgüssen der sogenannten Rettungsethnologie her und konnte gleichzeitig eine brennend aktuelle Frage behandeln. Die amerikanische „Salvage Ethnologie“ fertigte von den „letzten Indianern“ Gipsabgüsse für die Nachwelt an. Es ging darum sie im Museum zu bewahren, nachdem man zuvor versucht hatte, sie auszurotten. Es war nie das Ziel gewesen ihre Kultur zu retten. Es ging vielmehr darum, sie als Bedrohung zu beseitigen, ihr Land zu annektieren und sie in Reservate zu sperren. Waren sie dann keine Bedrohung mehr, traten KünstlerInnen, FotografInnen und EthnologInnen auf den Plan, um noch zu retten, was zu retten war. Die Objekte wurden musealisiert, um dann ein nostalgisches Bild von ihnen als Edle Wilde der Vergangenheit heraufzubeschwören. Hier setzt auch meine Ausstellung über das Verschwinden der Mittelklasse an. Wir befinden uns in einer Zeit, in der die Mittelklasse verschwindet, demokratiepolitisch mit drastischen Folgen. Jetzt muss man schnell noch sammeln, um später zeigen zu können, wie es war…
BB: Glaubst Du, dass man anhand von Objekten, Bildern, Fotografien oder Berichten ein Bild von der Vergangenheit erzeugen kann?
LP: Natürlich nicht. Es ist immer ein Konstrukt. Was wir von alten Kulturen, wie zum Beispiel den ÄgypterInnen in Museen zu sehen bekommen, sind meist nur Objekte der oberen, herrschenden Schichten. Die Objekte der ärmeren Bevölkerung waren meistens nicht aus bleibenden Materialien gefertigt und sind kulturgeschichtlich irrelevant. Das ist ein Beispiel für die unsichtbaren Standards, die als gegeben angenommen werden und über die nie gesprochen wird. Was man also über eine vergangene Kultur erfahren kann, betrifft hauptsächlich die reichen Schichten. Es ist interessant, welche Bilder so produziert werden.
BB: Deine Ausstellung umfasst einerseits das MuKul mit farbigen Räumen, Glasvitrinen und Dioramen, szenografisch allesamt klassische Bausteine ethnologischer Museen, andererseits die Sonderausstellung „Wild Places“, eine Kunstausstellung im White Cube mit Deinen eigenen Fotoarbeiten. Welchen Bezug stellst Du zwischen diesen beiden Elementen her?
LP: Schon lange bevor das Thema „Kann die Kunst die Ethnologischen Museen retten?“ aufkam, wurde ich manchmal eingeladen an so einem Ort auszustellen, oft am Ende eines Rundganges in einem kleinen Zimmer. Daher auch die Kunstausstellung in meinem Museum im letzten Raum. Kunst in ethnologischen Museen sollte schon immer ein kritisches Potenzial haben.
BB: In Deiner Sonderausstellung „Wild Places“ sind zehn Fotoarbeiten ganz unterschiedlicher Entstehungsjahre zu sehen. Kannst Du mir die eine oder andere Arbeit näher erläutern? Werfen wir beispielsweise einen Blick auf die Arbeit „Lasst tausend Blumen blühen“ von 2007, die übrigens auch Teil der gleichnamigen Ausstellung im Kunsthaus Dresden im Jahre 2009 war. Auf der Fotografie ist ein Stillleben zu sehen. Neben einer Blumenvase steht unter anderem eine Figur, die auch in einer Vitrine im dritten Saal des MuKul ausgestellt war. Was hat es damit auf sich?
LP: Generell wollte ich mit den gezeigten Arbeiten der Sonderausstellung auf verschiedenen Ebenen Anknüpfungspunkte zur Hauptausstellung herstellen. Die Arbeit „Lasst tausend Blumen blühen“ habe ich gewählt, weil ich in der Hauptausstellung über China im Zusammenhang mit der aufstrebenden Mittelklasse spreche. Schon lange wollte ich ein Blumenstillleben machen, zumal ich mich aus mehreren Gründen intensiv mit holländischer und flämischer Barockmalerei beschäftigt habe. Erstens interessiert mich deren fotografischer Blick auf die Welt, zweitens war die fast schon gottgegebene Zentralperspektive in der Malerei auch nur ein Aspekt, der sich durchgesetzt hat. Die Holländer und Flamen hatten einen völlig anderen Zugang zur Perspektive. Ich glaube auch, dass die Zentralperspektive maßgeblich zu unserer Vorstellung von „The West and the rest“ beigetragen hat. Blumenstillleben interessierten mich, weil auf ihnen Blumen, die zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten wachsen, zum ersten Mal in einem Bild sichtbar gemacht wurden. Diese Vorstellung hat mich sehr inspiriert. Ich habe in vielen meiner Fotografien mit Kunstblumen gearbeitet. Mich interessieren all diese nachgemachten Objekte, die immer verfügbar sind und für wenig Geld gekauft werden können. Diese Gegenstände sagen: „Unser Gesellschaftssystem hat Zugang zu Allem.“ Vor einigen Jahren suchte ich im Winter künstliche Tulpen. In einer Kunstblumenabteilung eines großen Kaufhauses habe ich eine Verkäuferin danach gefragt. Fassungslos hat sie mir erklärt, dass doch Tulpen jetzt keine Saison hätten! Dass auch Kunstblumen nach Saison verkauft werden, war mir neu. In der Nähe von Dresden gab es bis nach dem zweiten Weltkrieg eine der größten Produktionsfirmen von Kunstblumen. Mit der Globalisierung ist das alles in den Osten gewandert. China hatte diesbezüglich eine lange Tradition und ist heute der weltweite Marktführer. Ich habe die ehemalige Produktionsstätte in Sebnitz besichtigt. In „Lasst tausend Blumen blühen“ geht es um westliche Projektionen auf China. Am linken Bildrand steht ein ägyptischer Obelisk, eine Anspielung auf Athanasius Kircher und seine Behauptung, die chinesische Schrift hätte sich aus den ägyptischen Hieroglyphen entwickelt. Bei der Figur, die rechts neben der Vase steht und auch in einer Vitrine im MuKul ausgestellt ist, handelt es sich um eine nachgemachte Figur, die ursprünglich aus der Zeit der Kulturrevolution stammt. Diese Figuren werden heute für TouristInnen wieder produziert und ich habe meine über ebay gekauft. Es ist eine Soldatin, die ein Banner in den Händen hält, auf dem auf chinesisch steht: „Nieder mit dem Kapitalismus“. Diese Aufschrift stand damals natürlich in einem völlig anderen Zusammenhang. Mao hat den abtrünnigen ParteigenossInnen vorgeworfen, den kapitalistischen Weg beschritten zu haben. Als Objekt im MuKul bekommt diese Aussage natürlich eine ganz andere Bedeutung. In der Metallkugel links neben der Vase spiegle ich mich selbst beim Fotografieren, eine Anspielung auf die holländische Malerei. Links auf dem Tisch liegt ein geraffter nachgedruckter Möbelstoff aus der Zeit der Chinoiserien, darunter eine roter Seidenstoff, auf der ein Spruch des EuroMayday 2007 gestickt ist: „No more illusions, let’s struggle and organize ourselves.“ Vor der Vase liegt das „Kleine rote Buch von Mao“. Zwischen 1956 und 1957 forderte die Kommunistische Partei Chinas das Volk auf, sich kritisch zur Situation des Staates zu äußern. „Lasst hundert Blumen blühen, lasst hundert Schulen miteinander wetteifern“. Diese Bewegung war aber nur von sehr kurzer Dauer. Der Titel „Lasst tausend Blumen blühen“ nimmt Bezug darauf. Es sind noch verschiedene Muscheln zu sehen, eine davon hat beispielsweise Rembrandt gezeichnet. Der rote Seestern spielt mit dem roten kommunistischen Stern. Dahinter steht eine künstliche Koralle aus Filz. In den holländischen Stillleben haben Blumen eine Ikonographie, die mich eher wenig interessierte. Allerdings habe ich recherchiert, welche Bedeutung verschiedene Blumen in China haben. Auch zu der blau-weißen Vase gibt es eine Geschichte, denn mit dieser Art von Porzellan wurde zwischen Asien und Europa ein reger Handel betrieben, in beiden Richtungen. In diesem Bild, wie auch in allen anderen meiner Arbeiten, liegen sehr viele Geschichten verborgen…
BB: Eine Fotografie trägt den Titel „Indian(er) Jones II – Das Glasperlenspiel“. Welchen Bezug hat diese Arbeit zum MuKul?
LP: Dieses Bild ist eigentlich das wichtigste im Bezug zur Hauptausstellung. Es geht um westliche Museumspräsentationen außereuropäischer Objekte. Wie verändern unterschiedliche Zugänge des Ausstellens die Bedeutung, die wir den Objekten zuschreiben. Ausstellungspraktiken sind Moden unterworfen, wie auch die Umbenennungswelle der Museen der letzten Jahre: Plötzlich heißen diese „Weltmuseum“ oder „Weltkulturen Museum“. In zehn Jahren wird es vielleicht wieder neue Namen geben, einem neuen Diskurs folgend. Diese Veränderungen sind zyklisch und nicht neu. Ethnografische Objekte wurden schon 1913 in der „Armory Show“, offiziell hieß die Schau „International Exhibition of Modern Art“, als Kunst präsentiert. Im Jahre 1984 fand die Ausstellung „PRIMITIVISM IN 20TH CENTURY ART, Affinity of the Tribal and the Modern“ im MOMA in New York stattfand. Des Öfteren bekommt man das Gefühl, dass Diskurse eine ultimative und unveränderbare Wahrheit hervorbringen, aber natürlich ist jeder Diskurs auch abhängig von geografischen, politischen und sozio-ökonomischen Bedingungen und verändert sich ständig. Auch dieses Festschreiben gehört zu den unsichtbaren Standards, mit denen operiert wird. Kommen wir zurück zu „Indian(er) Jones II“. Hier geht es um die unterschiedliche Präsentation von außereuropäischen Objekten und privaten Sammlungen. Es gibt eine Vorlage für dieses Foto. Ich beziehe mich auf ein Gemälde von Willson Peale mit dem Titel „The Artist in His Museum“ von 1822, ein Bild, dass viele US AmerikanerInnen aus ihren Schulbüchern kennen. Er selbst, ein Maler und Naturforscher, ist darauf zu sehen, wie er sein Museum, das erste naturhistorische Privatmuseum Amerikas, eröffnet. Er hebt den roten Vorhang und gibt den Blick auf seine Sammlung frei. Peale hat Saurierknochen selbst ausgegraben und sich Klassifizierungssysteme ausgedacht. In meiner Arbeit geht es ebenfalls um Sammlungen und Klassifizierungen. Man sieht, dass die hinter dem Vorhang aufgestellten Objekte in die Kategorien Art, Artefact, Specimen, Trophy und Curio eingeteilt wurden. Pablo Picasso war ein leidenschaftlicher Sammler und auch Georg Baselitz hat eine unglaublich tolle Sammlung von afrikanischen Objekten. Mir kam die Idee, dass sich viele Maler, die zu Geld kommen, in diese Genealogie seit Picasso einzuschreiben versuchen und beginnen, afrikanische Objekte zu sammeln. Meine Indian(er) Jones Serie besteht im Moment aus vier Teilen, genauso wie Steven Spielbergs Indiana Jones Filme. Ein weiterer ist in Vorbereitung und ich werde mit einem fünften Bild darauf reagieren. „Indian(er) Jones III – High Stakes“ von 2012 stellt ein Pokerspiel zwischen Indian(er) Jones, dem Abenteurer, Eroberer oder vielleicht auch Konquistador Hernán Cortez und den Mayas und Azteken dar. Die Indigenen haben die Partie verloren und den Tisch verlassen. Alles, was Indian(er) Jones erspielt hat, ist zu Gold geworden. Aber er weiß, dass er mit gezinkten Karten gespielt hat, vielleicht wird doch noch jemand seinen Gewinn einfordern. „Lieber gewappnet sein und die Hand auf der Pistole lassen“, denkt er. Eines seiner Beutestücke ist das für den Film erfundene und von mir nachempfundene Kreuz von Coronado. Den spanischen Conquistador Francisco Vásquez de Coronado, nachdem es benannt ist, gab es allerdings wirklich. Das rote Pulver in einer Schale, in der Mitte des Tisches, ist Cochenille, ein Farbstoff, der aus Blattläusen gewonnen wird, ein damals sehr wertvolles Handelsgut. Auch in dieser Arbeit ist jedes Objekt und jedes Element genau recherchiert und ausgewählt. Auf dem Bild „Indian(er) Jones IV – Dreams of New Worlds“ von 2013 ist Indian(er) Jones als Banker und Repräsentant des neoliberalen Systems zu sehen. Die Arbeit bezieht sich auf ein Wandgemälde von Diego Rivera mit dem Titel „Traum von einem Nachmittag im Alameda Park“ von 1947-1948. Links neben Indian(er) Jones steht die mexikanische Frau Tod. Sie ist auch die ständige Begleiterin des neoliberalen Systems. Hinter ihnen wird demonstriert, auf den Schildern sind verschiedene Fotografien abgebildet. Auf einem ist „La belleza de la desobediencia“, übersetzt „Die Schönheit des Ungehorsams“ als Graffiti zu sehen. Ein anderes zeigt den Basketballplatz in einem kleinen Dorf in den Bergen von Chiapas, an dem Gespräche zwischen der mexikanischen Regierung und den Zapatisten stattfanden. Es ist eine Hommage an die zapatistische Bewegung, die erste aller systemkritischen antikapitalistischen Bewegungen.
BB: Auf dem Bild „Indian(er) Jones I– Fact or Truth“ steht der Held mit dem Rücken zum Betrachter und schaut auf eine Wand mit mehreren Fotografien. Was hat es damit auf sich?
LP: Bei mir heißt Indian(er) Jones eigentlich Indian Jones, daher auch die Klammer in seinem Namen. Ich finde es sehr spannend mit einer ikonischen Figur aus der Populärkultur zu arbeiten. Der Indiana Jones des Filmes ist Hochschulprofessor und Archäologe, der für Museen sammelt. Er ist ein Abenteurer auf der Suche nach Goldobjekten. Findet er dann etwas, kann man das Glitzern in seinen Augen sehen. Doch bevor ihn die Gier übermannt, sagt er: „I´m collecting for the museum.“ In meinen vier Bildern ist er eigentlich immer ein anderer, aber immer auch Indiana Jones, der westliche Eroberer, Ethnologe, Archäologe, usw. In „Indian(er) Jones I“ beziehe ich mich auf Fotografien von Edward Curtis. Curtis war Fotograf, der Ende des 19. Jahrhunderts versuchte alle Indianerstämme Nordamerikas zu fotografieren. Er war für seine Zeit eigentlich einer der Guten. Auf der Suche nach dem ehemaligen „freien, wilden Indianer“ zog er allerdings mit einem Wagon voller Kostümen durchs Land. Passte ein Kleidungsstück eines „Indianers“ nicht in sein Konzept, verkleidete er sie. Man erkennt dies an den Fotos, in denen dasselbe Hemd bei unterschiedlichen Ethnien zu sehen ist. Zurück zu „Indian(er) Jones I – Fact or Truth“: Die Rückenfigur spielt auf Caspar David Friedrichs Gemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ von 1818 an. Meine Figur blickt allerdings nicht in eine gemalte Landschaft, sondern auf Fotografien. Ich habe das Gemälde als Ausgangspunkt gewählt, weil ich in Caspar David Friedrichs romantischen Zugang zur Landschaft eine Parallele zum romantischen Blick Edward Curtis auf die „Indianervölker“ sehe. Der erste bekannte ethnologische Spielfilm „Nanuk, der Eskimo“ aus dem Jahre 1922 stammt von Robert J. Flaherty. Ein weiterer dieses Genres ist der Film „Tabu“ von Friedrich Murnau, auf Tahiti gedreht. Diese Filme sind eine Mischung aus ethnologischen Beobachtungen und Spielfilmelementen. Eigentlich stammte der erste Film dieser Art von Edward Curtis. Er hieß „In the Land of the Head Hunters“, unbenannt in „In the Land of the War Canoes“ und wurde 1914 in British Columbia, Kanada gedreht. Es ist eine tragische Liebesgeschichte mit First Nation DarstellerInnen. Ich war an einigen Orten, in denen Curtis den Film drehte und fotografierte. Meine Arbeit zeigt Indian(er) Jones, wie er, mit dem Rücken zu uns, auf verschiedene Fotografien blickt. Es sind Bilder aus dem Umfeld der heutigen First Nation People, Totempfähle, Gemeinschaftshäuser, Souvenirgegenstände und eine Demonstration. Der Titel „Fact or Truth“ bezieht sich auf eine Szene des dritten Filmes „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“. Indiana Jones sagt sinngemäß in einer Vorlesung zu seinen StudentInnen: „…Archeology is not just a cross on a map and it’s definitely not mainly about finding treasures.“ In der darauffolgenden Szene sieht man ihn in einer Bibliothek. Auf dem Boden befindet sich ein riesiges Kreuz und genau dort befindet sich der Eingang zu seinem nächsten Abenteuer. Obwohl er eben noch behauptet hatte, Archäologie sei kein Abenteuer, sondern eine ernst gemeinte Wissenschaft. In der Archäologie gehe es um „Fact and Truth“. Daraus wurde mein Titel „Fact or Truth“. In dieser Arbeit geht es um Dokumentarfotografie und die Frage, inwieweit Dokumentarisches mit seinem zumindest damaligen Wahrheitsanspruch auch immer schon ein Konstrukt war. Edward Curtis hat die „Indianer“ zwar abgebildet, aber ihre Darstellung streckenweise auch erfunden.
BB: Werfen wir einen Blick auf die Fotografie „Fuimus Ibi“ von 2008. Welche Geschichten stecken hier in den einzelnen Bildelementen?
LP: Bei dieser Arbeit beziehe ich mich auf das Bild „Mann mit dem roten Turban“ von Jan van Eyck aus dem Jahre 1433, auf dem er sich vermutlich selbst portraitiert hat. Meine Fotografie zeigt eine Person, ausgestattet mit mehreren exotischen Elementen: einer Turban ähnlichen Kopfbedeckung, wie bei vielen „westlichen Reisenden“ auf orientalistischen Gemälden zu sehen, einem indischen Hemd, in dessen Brusttasche eine Weltkarte steckt und einem afrikanischen Stoff im Hintergrund, dessen Muster mich an die Zentralblende eines analogen Fotoapparates erinnert. Der Mann trägt daher auch in der rechten Hand eine kleine Kamera. Der Titel „Fuimus Ibi“ bezieht sich auf das berühmte Gemälde „Arnolfini-Hochzeit“ von Jan van Eyck von 1434. Darauf ist im Hintergrund über einem Spiegel die Inschrift „Fui ibi“ zu sehen, auf Lateinisch „Ich war dort“. In dem Spiegel ist er selbst zu erkennen. Das alles sollte seine Anwesenheit bei der Hochzeit beglaubigen. „Fui ibi“ wurde also zu „Fuimus ibi“, „Wir waren dort“, eine Anspielung auf unsere Anwesenheit in verschiedenen Funktionen zu verschiedenen Zeiten im „elsewhere“.
BB: Auf dem Bild „En Couleur“ von 2007 sieht man eine Frau, die ihren Kopf schräg auf einen Tisch legt und rechts neben sich eine Ausgabe eines National Geographic Magazins in der Hand hält. Worum geht es hier?
LP: Es handelt sich um die Aktualisierung einer Fotografie von Man Ray mit dem Titel „noire et blanche“ von 1926, von der es übrigens mehrere Versionen gibt. Auf einer davon hält eine weiße Frau eine schwarze Maske in der Hand. Mich interessierte die Frage, wie Man Ray dieses Sujet wohl heute fotografieren würde. Auf dem Titelblatt des National Geographic Magazins ist ein Bororo Fulani aus Niger abgebildet. Das ist eine dieser ethnologischen Lieblings-Ethnien. Robert Gardner drehte dort 1981 den Film „Deep Hearts“. Der Film handelt von einem Wettstreit, in dem der perfekteste männliche Bororo ausgewählt wird, einem Schönheitswettbewerb also. Ich spiele hier also auch auf ein gender Thema an, denn fast könnte man meinen, die Person auf dem Titelblatt von National Geographic sei eine Frau. Man Ray interessierte mich auch, weil er zur Zeit der Pariser Kolonialausstellung 1931 in den Kreisen der Surrealisten verkehrte. Sie gaben ein Manifest und Flugblätter heraus, die sich gegen die Kolonialausstellung mit ihren Menschenschauen richteten und nahmen dezidiert eine antikoloniale Haltung ein.
BB: Ich habe noch eine allgemeinere Frage: Würdest Du sagen, man könnte im Bezug auf Dein Museum von einem mimetischen Verfahren sprechen? Könnte man überdies den Begriff Dekonstruktion auf Deine Arbeit anwenden?
LP: Mir geht es darum, Strukturen zu erkennen und sichtbar zu machen. Es ist eine politische Arbeit und eine Dekonstruktion ist es sicherlich. In dem System, in dem wir leben, gibt es immer weniger Freiräume und deswegen nutze ich Bestehendes und versuche es mit anderen Inhalten zu füllen. Ich habe keine Berührungsängste auch außerhalb des Kunstkontextes zu arbeiten. Manchmal werde ich zum Beispiel von ethnologischen Museen eingeladen. Mir ist natürlich klar, dass künstlerisches Arbeiten in diesem Kontext ein Experiment mit ungewissem Ausgang ist. Wird man in der Nachbarschaft dieses mächtigen Diskurses einer kolonialen Sammlung bestehen können? Sicher ist es leichter, in einem eigenen abgegrenzten Raum zu bestehen, als mit einer künstlerischen Intervention, die sich, umgeben von ethnologischen Objekten, behaupten muss. Meine Vorgangsweise, etwas zu erarbeiten, würde ich als assoziative Recherche beschreiben. Für das Weltmuseum Wien bereite ich momentan eine Arbeit mit dem Titel „The Master Narrativ“ vor. Natürlich werde ich dort Kunstarbeiten präsentieren und nicht mein MuKul. In einem ethnologischen Museum mit den Methoden der Ethnologie zu arbeiten, würde nicht als kritische Arbeit wahrgenommen werden können, glaube ich.
Das Interview fand am 19.03.2016 in Wien statt. Besonderer Dank für die Veröffentlichung und die Genehmigung zur Verwendung von Bildmaterial gilt Lisl Ponger.